{Rezension} Monsieur Vénus von Rachilde

Die wohlhabende junge Frau Raoule de Vénérande stammt aus altem Pariser Adel und verliebt sich in einen jungen Mann aus einfachen Verhältnissen. Raoule sieht darin kein Hinderungsgrund und fühlt sich zu dem sanften Künstler Jacques Silvert so hingezogen, dass sie ihn zu ihrem Geliebten und schlussendlich zu ihrer Frau macht.

Die französische Schriftstellerin Marguerite Eymery veröffentlichte unter diversen Pseudonymen Ende des 19. Jahrhunderts, ihre zur damaligen Zeit skandalösen Geschichten, in denen sie Geschlechterrollen auflöst und mit der Sexualität ihrer Protagonisten spielt. Bisher war mir ihr wohl bekanntestes Pseudonym Rachilde kein Begriff, doch im Reclam Verlag ist ihr Werk »Monsieur Vénus« nun zum ersten Mal in der deutschen Übersetzung erschienen, und dieses hat sogleich mein Interesse geweckt.

Mit gerade einmal zwanzig Jahren hat Rachilde »Monsieur Vénus« geschrieben und so trägt die Geschichte eindeutig den Stempel der Fin de Siècle, jenem Dekadentismus der das Lebensgefühl in Zeiten des Umbruchs zu einem offeneren und freien Lebensstil wandelt.

»Der Mann besitzt, die Frau erduldet.«

Im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Konventionen und Normen dieser Epoche in der die Welt von Männern beherrscht und Frauen in Sachen Heirat und Liebe von einem engen Korsett der Etikette eingeschnürt sind, wagt die junge Autorin einen skandalverdächtigen Drahtseilakt, der ihr sogar eine Geld- und Haftstrafe in Belgien einbringt.

Des Mannes Befähigung zur Leidenschaft geht nicht über die Grenzen seiner physischen Potenz hinaus. Sobald der Zeugungsakt vollbracht ist, ist er gesättigt. Nichts bleibt nach der sinnlichen Erfüllung.
Seite 77

In »Monsieur Vénus« erzählt Rachilde die Geschichte einer reichen jungen Frau, die von einem beherrschenden Wesen geprägt ist und sich in einen zarten Mann unter ihrem Stand verliebt. Die Geschlechterrollen werden in dieser Liebesbeziehung gespiegelt, in der alle Tabus jener Epoche aufgebrochen werden. Mit dieser kritischen, durchaus feministischen, Betrachtung der sozialen Gesellschaftsstrukturen war die junge Autorin ihrer Zeit weit voraus.

Zwischen den Zeilen dieser toxischen Tragödie kann man den provokanten Ton heraushören, der diese Geschichte zu einem interessanten Leseerlebnis werden lässt.

Sie schlug ihn nicht mehr, kaufte ihn nicht mehr, sondern schmeichelte ihm, und der Mann, so nieder er auch sein mag, besitzt, wenn er aufbegehrt, immer jene Männlichkeit eines Moments, die man Überheblichkeit nennt.
Seite 73

Man hatte ihn in dem geheimsten Winkeln seines Ichs so sehr zum Mädchen gemacht, dass der Wahnsinn des Lasters die Dimensionen eines Starrkrampfs annahm!
Seite 169

Besonders gut hat mir das verwirrende Spiel mit der Umkehrung der Geschlechter gefallen, welches in einem furiosen Showdown noch einmal auf die Spitze getrieben wird. Der Star der Geschichte ist Raoule de Vénérande, die sich auf der einen Seite ihrer Vermännlichung immer stärker hingibt, auf der anderen Seite als wahre Diva agiert und mit ihrer Gier nach ihrem ausgelieferten Liebhaber vor nichts mehr zurückschreckt.

Außerdem erhält die Geschichte durch Nebenrollen wie Baron de Raittolbe, der eigentlich ein perfekter Heiratskandidat für die junge Adlige wäre und Jacques Schwester Marie, die unverhohlen dem lasterhaften Leben einer Prostituierten frönt, einen unvergesslich frivolen Touch.

Das Buch enthält zudem noch umfangreiches Zusatzmaterial, wie Abdrucke diverser Vorworte der einzelnen Auflagen und ein Nachwort der Literaturwissenschaftlerin und Expertin für weibliches Schreiben Martine Reid.


Eine tolle Klassiker-Neuentdeckung und eine gewagte Geschichte, in der mit Geschlechterrollen gespielt und die Zeit der Dekadenz Ende des 19. Jahrhunderts wachgerufen wird.

★★★★☆

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Titel: Monsieur Vénus
Originaltitel: Monsieur Vénus
Autorin: Rachilde
Übersetzerinnen: Alexandra Beilharz, Anne Maya Schneider
Genre: Klassiker
Verlag: Reclam Verlag
ISBN-13: 978-3150112878
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 218 Seiten
Preis: 18,00 €
Erschienen: 25. September 2020

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»Rachilde. Homme de Lettres«, stand auf der Visitenkarte von Marguerite Eymery, die 1860 geboren wurde, mit 12 Jahren zu schreiben begann und mit 15 den Namen Rachilde annahm. Sie kleidete sich als Mann und verfasste Romane, in denen sie sich explizit mit Geschlechterkonventionen und Themen wie Homo- und Transsexualität auseinandersetzte. Im literarischen Leben des Fin de Siècle hatte sie eine zentrale Position, ihr Salon war berühmt. Rachilde starb 1953 in Paris.

Quelle: Reclam Verlag


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1 Kommentare

  1. Hallo liebe Bella,

    diese Persönlichkeit kann auf ein langes Leben zurückblicken…was in dieser Zeit alles passiert …..

    LG…Karin…

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