{Rezension} Middlemarch von George Eliot

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Titel: Middlemarch
Originaltitel: Middlemarch
Autorin: George Eliot
Übersetzer: Rainer Zerbst
Genre: Klassiker
Verlag: dtv Verlag
ISBN-13: 978-3423281935
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 1152 Seiten
Preis: 28,00 €
Erschienen: 23. August 2019

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Die Einwohnerschaft der englischen Ortschaft Middlemarch setzt sich aus den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten zusammen. Während ein Großteil der Bevölkerung mit ihrer Stellung zufrieden scheint, wächst eine neue Generation heran, die den Umbruch in eine neue Zeit beschreiten. Dorothea Brooke ist eine junge Frau mit aufgewecktem Geist und voller Intelligenz. Sie möchte nicht gut heiraten, um selbst versorgt zu sein, sondern um mit ihren Möglichkeiten für Verbesserungen zu sorgen. Als sie den deutlich älteren Mr. Edward Casaubon heiratet, scheint die Erfüllung ihrer Träume in greifbare Nähe gerückt zu sein. Auch der junge Arzt Tertius Lydgate steckt voller Ideale und möchte seine Forschung und neue Methoden in Middlemarch vorantreiben. Dorothea und Tertius müssen schon bald feststellen, dass sich ihre Pflichten in der Ehe und gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern von Middlemarch nicht so leicht mit ihrer Vorstellung vom Leben vereinbaren lässt.

Der Klassiker »Middlemarch« von George Eliot stammt aus den 1870er Jahren und trägt den Untertitel »Eine Studie über das Leben in der Provinz«. Zu Ehren des 200. Jahrestag von George Eliots Geburtstag am 22. November hat der dtv Verlag diese hübsche Neuausgabe in der Übersetzung von Rainer Zerbst mit einem Vorwort von Elisabeth Bronfen und einem Nachwort des Übersetzers herausgebracht.

Das Vorwort von Elisabeth Bronfen ist sehr aufschlussreich geschrieben und hätte sich in meinen Augen eher als Nachwort geeignet, denn in ihrem Text verrät sie bereits einige Einzelheiten der Geschichte, die ich viel lieber selbst entdeckt hätte.

»Middlemarch« wurde unter dem männlichen Pseudonym George Eliot veröffentlicht, dahinter steckt jedoch Mary Ann Evans. Für die damalige Zeit war dieses Vorgehen aufgrund der Stellung der Frauen in der Gesellschaft nichts ungewöhnliches, bereits Jane Austen veröffentlichte ihre ersten Romane unter dem Pseudonym »By a Lady« und die Brontë Schwestern veröffentlichten ihre Werke ebenfalls unter männlichen Pseudonymen. In der viktorianischen Zeit hat sich das Leben vieler Menschen auf die Grenzen ihres Dorfes beschränkt und so schrieb George Eliot ihren Roman über ein solches Gesellschaftsbildnis.

Der Schreibstil legt bereits mit langen und in sich verschachtelten Sätzen ein Zeitzeugnis ab und versetzt den Leser direkt in das 19. Jahrhundert. Damals hatte man noch jede Menge Zeit für Müßiggang (zumindest die finanziell gut situierte Gesellschaft) und so entspinnt sich auch George Eliots Geschichte über die Menschen, ihre Beziehungen zueinander und welche politischen Einflüsse das Leben in Middlemarch prägen in einer Gemütlichkeit, für die man sich gerne die nötige Zeit nimmt. Im Mittelpunkt der Handlung stehen dabei immer wieder Dorothea und Tertius, die mit ihrer aufgeweckten Art im Kontrast zu den restlichen Middlemarchern stehen.

Während sich Dorothea nicht mit der für sie vorgesehenen Partie verheiraten lässt und stattdessen den um einiges älteren Mr. Casaubon heiratet, schlittert Mr. Lydgate ohne die Absicht sich überhaupt jemals verheiraten zu wollen in die süßen Netze von Rosamond Vincy. Die einzelnen Persönlichkeiten zeichnet George Eliot mit feinen Pinselstrichen, versieht diese mit Ecken und Kanten und erweckt damit ein lebhaftes Bild der damaligen Gesellschaft zum Leben.

»Verdammt, ihr hübschen, jungen Kerle! Ihr glaubt, es muss in der Welt nach eurem Willen gehen. Ihr versteht die Frauen nicht. Sie bewundern euch nicht halb so viel, wie ihr euch bewundert.«
Middlemarch, Seite 102

»Das Schicksal steht voll Sarkasmus daneben und hält die Fäden unserer dramatis personae fest in der Hand.«
Middlemarch, Seite 136

Gekonnt setzt George Eliot in Szene, wie sehr das Leben der Menschen in Middlemarch von der Entscheidung, mit wem sie sich verheiraten oder in beruflicher Sicht verbünden, geprägt ist. Die bescheidene und wissbegierige Dorothea lässt sich von imponierenden Worten täuschen und gerät so in den engen Käfig einer Ehe, die sie sich vollkommen anders ausgemalt hatte und der junge Arzt Tertius Lydgate stürzt sich in Middlemarch voller Idealismus und naivem Tatendrang in die Arbeit und tritt mit seiner überheblichen und forschen Herangehensweise auf den Schlips alt eingesessener Ärzte.

Die Sorgen und Ängste der Armen und Reichen scheinen zwischen den schicksalshaften Lebenswegen der Protagonisten zu verschwimmen und die Erkenntnis schleicht sich zwischen die Zeilen, dass nicht immer alles was Rang und Namen hat auch das entsprechende Geld mit sich bringt, und nicht alle Menschen mit ihrem Reichtum glücklich werden, sondern diesen sogar opfern müssen um das Leben führen zu können, dass sie sich wünschen.

»Ich habe es bis jetzt nicht als Unglück empfunden, nichts zu besitzen«, sagte er. »Aber Armut kann so schlimm sein wie Lepra, wenn sie uns von dem trennt, an dem uns am meisten gelegen ist.«
Middlemarch, Seite 722


»Middlemarch« steckt voller Weisheiten und so steckt auch in der Geschichte des Geistlichen Mr. Farebrother und des jungen Tunichtgut Mr. Fred Vincy eine sprichwörtliche Botschaft. Während Mr. Farebrother sein Einkommen durch sein Glück beim Billard und Kartenspiel im Grünen Drachen aufstockt, verschuldet sich Fred Vincy durch ebenjenes Glücksspiel und verspielt dabei fast seine Aussicht auf die Heirat mit seiner Jugendliebe. Hier bringt George Eliot den unabweislichen Vergleich ein, dass während der Eine Glück im Spiel hat, hat der Andere sein Glück in der Liebe findet.

George Eliot bietet mit ihrer Geschichte einen komplexen Einblick in das gesellschaftliche Leben im 19. Jahrhundert und überzeugt mit lebendigen Persönlichkeiten, die trotz ihrer Eigenarten und auch negativen Eigenschaften einem schnell ans Herz wachsen. Das Augenmerk liegt auf einer ausführlichen Beschreibung der Szenerie und sorgt auch beim Lesen für eine entschleunigte Wahrnehmung. Zwischendurch gab es allerdings auch einige Längen, die sich bei mir durch die politischen Abhandlungen bemerkbar machten. Dies mag jedoch auch meiner Unkenntnis und der daraus resultierenden Unwissenheit über Eliots Anspielungen auf die politischen Belange geschuldet sein.


Ein lesenswertes Zeitzeugnis über das Leben in der englischen Provinz im 19. Jahrhundert.

★★★★☆

George Eliot (1819 –1880) hieß eigentlich Mary Ann Evans. Sie publizierte jedoch unter männlichem Pseudonym. Sie verkehrte in den intellektuellen Zirkeln Londons und schrieb für die liberale ›Westminster Review‹ – eine Freidenkerin, die sich von keiner Strömung vereinnahmen ließ. Eliot gilt als die erste moderne Schriftstellerin Englands und bedeutendste Vertreterin des psychologisch-sozialen Romans. Sie starb 1880 in London.

Quelle: dtv Verlag


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