{Rezension} Evelina von Frances Burney


Lesedauer: 4 Minuten

Die bildhübsche siebzehnjährige Evelina wird durch eine befreundete Familie in die feine Gesellschaft Londons eingeführt und lernt zum ersten Mal in ihrem Leben etwas anderes als ihr zurückgezogenes Leben auf dem Lande kennen. Ihre Schönheit zieht schnell jede Menge Verehrer an, die sich ihren unsicheren Stand in der Gesellschaft und ihre Unerfahrenheit zunutze machen. Als dann auch noch Evelinas affektierte Großmutter aus Paris auftaucht, um sie dazu zu bringen, ihr Erbe einzuklagen, steht Evelinas guter Ruf auf dem Spiel. Dabei möchte sie nichts dringlicher vermeiden, als in der Gunst des liebenswürdigen Lord Orville zu sinken…

Frances Burney war für viele spätere Schriftstellerinnen, darunter auch Jane Austen, ein glänzendes Vorbild, denn sie prägte mit ihren Werken den Gesellschaftsroman und doch ist Fanny Burney bei der deutschen Leserschaft eine Unbekannte, da kaum einer ihrer Romane in einer aktuellen deutschen Übersetzung vorliegt. Lediglich ihr 1778 zunächst anonym veröffentlichter Briefroman »Evelina« wurde nun vom Reclam Verlag in einer Neuübersetzung herausgebracht, was große Hoffnung macht, dass auch noch ihre anderen Romane ›Cecilia‹ (1782), ›Camilla‹ (1796) und ›The Wanderer – Female Difficulties‹ (1814) eine Renaissance erleben werden.

Meine große Liebe zu dieser Art Gesellschaftsromane wurde durch die bereits erwähnte Jane Austen geweckt, sodass ich nicht umhinkomme zumindest eine kleine Einordnung anzustellen. Während ›Stolz und Vorurteil‹ und Co. in der kurzen Epoche der Regency (Anfang 19. Jahrhundert) angesiedelt sind, spielt »Evelina« in der georgianischen Ära (gegen Ende des 18. Jahrhunderts).

Die Etikette, Sitten und Gebräuche, Wichtigkeit der Abstammungslinie, sowie Umgangsformen sind zwar sehr ähnlich, doch Frances Burney verlegt den Handlungsort von der ruhigen ländlichen Gegend in das geschäftige Stadttreiben Londons und das Erholungsgebiet Bristol Hotwells, wo zahlreiche Aktivitäten die unerfahrene Titelheldin erwarten.

Als Mündel des Landpastors Arthur Villars erzogen, da ihre Mutter aus einfachen Verhältnissen stammte und ihr adliger Vater sie nicht anerkannte, hat die siebzehnjährige Evelina einen ungesicherten Status in der Gesellschaft und ist sich dessen auch bewusst. Ihr geliebter Ziehvater lässt seine behütete Evelina nur ungern ziehen, doch die befreundete Lady Howard kann ihn schließlich überzeugen, wie wichtig der Kontakt zu anderen Menschen und der Gesellschaft für das Heranreifen seiner liebreizenden Evelina ist.

Aus den Briefen Evelinas erfährt Arthur Villars von den bewegenden Ereignissen in London, den Bällen, den Opernbesuchen oder vom Wandeln in einem der beliebten Lustgärten. Natürlich bleiben auch die angenehmen wie unangenehmen Bekanntschaften mit aufdringlicher jungen Herren, dem galanten Lord Orville und das Aufeinandertreffen mit ihrer affektierten Großmutter nicht unerwähnt. Das alles wird so lebhaft geschildert, dass man einfach immer nur weiterlesen möchte (am besten ohne das Buch aus der Hand legen zu müssen).

Gerade die überzeichneten Charaktere von Evelinas Großmutter, der buckligen Verwandtschaft und dem grobschlächtigen Kapitän Mirvan habe ich sehr geliebt. Außerdem habe ich es sehr genossen, dass Burney ihrer moralisch gefestigten und tugendhaften Heldin eine ganze Schar unverschämter, beleidigender und zügelloser Protagonisten entgegensetzt. Der einzige zuvorkommende und charmante Gentleman weit und breit scheint Lord Orville zu sein, in den sich Evelina schließlich auch verliebt.

Besonders unterhaltsam wird die Lektüre durch die ganzen Schlamassel, in die Evelina gerät, sei es ein Fauxpas in der Ball-Etikette oder in der Begegnung mit unverfrorenen Zeitgenossen. Viel lachen musste ich auch durch die geckenhaften Junggesellen, die der Schönheit Evelinas verfallen sind und in skurrilen Szenen gipfeln, wie z. B. einem Wettrennen alter Damen. Aber auch die bitterbösen Streiche von Kapitän Mirvan tragen zur Unterhaltung bei. So viel sei also gesagt, bei Frances Burney geht es definitiv um einiges heißer her als bei Jane Austen.

»Evelina« ist ein wundervoller Roman aus dem Klassiker-Regal, der die gesellschaftlichen Konventionen im 18. Jahrhundert gekonnt auf die Schippe nimmt und dabei dennoch ein glaubwürdiges Porträt dieser Zeit zeichnet. Ich habe die Lektüre mit all ihren Facetten genossen und kann daher nur eine absolute Leseempfehlung aussprechen.


Ein herausragender Briefroman und ein absolut vergnügliches Leseabenteuer, von der ersten bis zur letzten Seite.

★★★★☆

*WERBUNG*


Titel: Evelina
Originaltitel: Evelina
Autor*in: Frances Burney
Übersetzer*in: Rebecca Scharpenberg
Genre: Klassiker
Verlag: Reclam Verlag
ISBN-13: 978-3150114148
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 553 Seiten
Preis: 28,00 €
Erschienen: 6. September 2022

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Frances Burney (1752–1840) war Hofdame der englischen Königin Charlotte und wurde mit ihren Romanen Evelina (1778), Cecilia (1782), Camilla (1785) und The Wanderer (1814) zur berühmtesten Schriftstellerin ihrer Epoche. Sie gilt als Pionierin des Gesellschaftsromans – nicht nur beschreibt sie so farbenprächtig wie detailgetreu die galante Welt der Bälle und Vergnügungsparks des 18. Jahrhunderts, sie hat mit ihrer Evelina auch die erste lebensechte, charmant unvollkommene Romanheldin der Literaturgeschichte geschaffen. Zudem verfasste Burney Theaterstücke sowie ein umfangreiches Tagebuch.

Quelle: Reclam Verlag


Frances Burney hat zwar nicht so eine scharfe Zunge wie Austen. Aber man kann schon gut nachvollziehen, warum Austen ein Fan von ihr war und entdeckt viele Parallelen.
Buchlingreport

Das Lesen hat mir großes Vergnügen bereitet.
Lehrerzimmer

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4 Comments

  1. Hallo liebe Bella,

    hm, der Vergleich mit der Die Forsyte Saga…klingt nach einem Roman, der in mein Beutechema passt, doch leider passt mir der Preis des Romanes eher nicht so…

    LG..Karin..

    • Liebe Karin,

      leider bemerkt man auch bei den Buchpreisen, dass die gestiegenen Kosten an die Verbraucher weitergegeben werden. Vielleicht lässt du dir das Buch ja auch zum Geburtstag schenken? Oder du wartest ab, ob das Buch auch noch später als Taschenbuch erscheint.

      Extrem ist mir das auch bei der Neuausgabe/Jubiläumsausgabe von Frank Schätzings „Der Schwarm“ ins Auge gestochen, die sage und schreibe 50 Euro kostet.

      Herzlichst
      Bella

  2. Vielen Dank fürs Verlinken, liebe Bella :D

    Ich habe Evelina auch echt gerne gelesen und fand es total spannend zu sehen, woher Jane Austen sich unter anderem ihre Inspiration hergeholt hat. Die Charaktere sind schon wirklich herrlich skurril zum Teil.

    Viele Grüße
    Britta

    • Liebe Britta,

      da sagst du was – ich habe gerade das an den Charakteren sehr gemocht :)
      Leider kann der Verlag noch nicht sagen, ob es weitere Bände der Autorin in ihr Programm schaffen werden. Ich hoffe ja sehr, dass sich Evelina gut verkauft.

      Herzlichst
      Bella

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