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Esme wächst ohne Mutter bei ihrem Vater auf, der Ende des 19. Jahrhunderts unter Henry Murray als Lexikograph mit am ersten ›Oxford English Dictionary‹ arbeitet. Aus der Not heraus verbringt Esme ihre Kindheit unter dem Sortiertisch und zwischen den männlichen Gelehrten, wobei in ihr die Liebe zu Wörtern zu sprießen beginnt. Neugierig sammelt sie heruntergefallene Papiere auf und verstaut sie in einer geheimen Truhe, ohne zu ahnen, welche Bedeutung diese Wörter für sie noch haben werden. Erst als Esme erwachsen wird, begreift sie, dass gerade solche Wörter verworfen und nicht ins Wörterbuch aufgenommen werden, die Frauen betreffen und sie beginnt selbst Wörter zu sammeln, denen sonst niemand Beachtung schenkt.
Pip Williams erzählt in ihrem Debütroman »Die Sammlerin der verlorenen Wörter« eine mitreißende fiktionale Lebensgeschichte über eine junge Frau, die Ende des 19. Jahrhunderts bei ihrem liebevollen Vater aufwächst und durch seine Tätigkeit von klein auf von Wörtern fasziniert ist.
Geschickt integriert die Autorin das Leben von Esme mit der Entstehungsgeschichte des ›Oxford English Dictionary‹, welches zwischen 1886 und 1928 erschien, und lässt auch historisch belegte Persönlichkeiten rund um das berühmte Wörterbuch auftreten, auch wenn sie sich für alles andere freie Hand gelassen hat. So kann man es zumindest in dem lesenswerten Nachwort zum Buch in Erfahrung bringen.
Durch einen einnehmenden Erzählstil gestaltet sich die Hineinversetzung in das 19. Jahrhundert und Esmes Alltag spielend leicht und sofort habe ich mit ihrem Schicksal mitgefiebert, welches so einige dramatische Wendungen bereithält, sodass Taschentücher in Griffnähe einen guten Dienst leisten.
Wörter sind wie Geschichten […]. Sie verändern sich, während sie von Mund zu Mund gehen, ihre Bedeutungen werden strapaziert oder beschnitten, damit sie zu dem passen, was gesagt werden muss.
Seite 187
Besonders gut gefallen hat mir, dass Pip Williams die patriarchalisch geprägte Geschichte des ›Oxford English Dictionary‹ mit ihrer Erzählung aufbricht und somit Raum für den „unsichtbaren“ Teil der damaligen Gesellschaft gibt – den Frauen, Bediensteten und Armen. Denn Esme sammelt schon bald ihre eigenen Wörter, Wörter die mit Frauen zu tun haben. Solche Wörter, die nicht als bedeutend genug erachtet werden, um von den Lexikographen in das Wörterbuch aufgenommen zu werden.
Die Wichtigkeit von Wörtern und deren Wert nehmen einen großen Teil in Esmes Leben ein, verbringt sie ihre Kindheit doch umgeben von ihnen direkt unter dem Sortiertisch der Lexikographen. Als Esme zur Frau heranwächst kann sie sich einen Job im sogenannten Skriptorium sichern, was für die damaligen Verhältnisse schon außerordentlich fortschrittlich war, denn Frauen bleiben viele Wege zu dieser Zeit versperrt.
Als Esme sich mit einer Theaterschauspielerin anfreundet, die in den Kreisen der Frauenrechtsbewegung der ›Suffragetten‹ verkehrt, bleibt die junge Frau enttäuschend passiv. Hier hätte ich mir definitiv etwas mehr Power gewünscht. »Die Sammlerin der verlorenen Wörter« ist dennoch ein absolut lesenswertes Debüt, welches mir direkt ins Herz ging und dabei nicht an dramatischen Wendungen geizt.
Genau die richtige Lektüre für alle die Wörter lieben.
Titel: Die Sammlerin der verlorenen Wörter
Originaltitel: The Dictionary of Lost Words
Autorin: Pip Williams
Übersetzerin: Christiane Burkhardt
Genre: Historischer Roman
Verlag: Diana
ISBN-13: 978-3453292635
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 528 Seiten
Preis: 22,00 €
Erschienen: 11. April 2022
Pip Williams, geboren in London, aufgewachsen in Sydney, lebt mit ihrer Familie in Südaustralien. Sie ist Sozialwissenschaftlerin und neben ihrer Forschung leidenschaftliche Autorin eines Reisememoirs, von Artikeln, Buchrezensionen, Flash Fiction und Gedichten. Ihre Faszination für Sprache und ihre Recherchen in den Archiven des Oxford English Dictionary inspirierten ihren ersten Roman »Die Sammlerin der verlorenen Wörter«, der ein Nr.-1-Sensationserfolg in Pips australischer Heimat wurde. Mehrfach preisgekrönt, stand dieser Roman auf der Shortlist für den Walter Scott Prize for Historical Fiction.
Quelle: Penguin Random House
Im Endeffekt ist dieses Buch einerseits eine Liebeserklärung an die Sprache, an Wörter und an ihre Veränderbarkeit. Andererseits ist es ein historischer Roman über eine Frau, die ein ungewöhnliches Leben lebt und immer wieder ihren Träumen näherkommt, ohne sie je wirklich leben zu dürfen – einfach, weil sie eine Frau war und ihr nur aufgrund dessen vieles verwehrt blieb.
Feder und Eselsohr
Von mir gibt es eine ganz klare Empfehlung für »Die Sammlerin der verlorenen Wörter«. Faszinierend, emotional und atmosphärisch.
Buchjuwelen
Für diesen Roman braucht es Zeit. Und Interesse an englischer Sprache. Denn auch wenn Themen wie Feminismus, Liebe oder Verlust angesprochen werden, stehen letztendlich immer die Wörter im Vordergrund.
Lauschige Lesezeit
So liebevoll und detailliert die Thematik des Wörterbuchs behandelt wird, so enttäuscht wurde ich an anderer Stelle. Esmes Kampf für die Rechte der Frauen ist kaum vorhanden und wird nur hier und da erwähnt.
faanielibri
Das Buch hat mir Fragen beantwortet von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie mir gestellt habe. Ich fand es so spannend und interessant die Geschichte des Oxford English Dictionarys kennenzulernen und finde es auch sehr bewundernswert wie intensiv sich die Autorin mit dieser Thematik beschäftigt hat.
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[…] Auch besprochen bei: Bellas Wonderworld […]