Titel: Die verlorenen Blumen der Alice Hart
Originaltitel: The Lost Flowers of Alice Hart
Autorin: Holly Ringland
Übersetzerin: Alexandra Baisch
Genre: Gegenwartsliteratur, Coming-of-Age
Verlag: Limes Verlag
ISBN-13: 978-3809026945
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 512 Seiten
Preis: 20,00 €
Erschienen: 22. Juli 2019
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Alice Hart ist neun Jahre alt, als ihre Eltern bei einem Brand auf ihrem Hof an der Nordostküste Australiens umkommen. Stumm und verängstigt kommt das Mädchen zu ihrer bis dato unbekannten Großmutter June, die sie auf Thornfield, ihrer Blumenfarm aufnimmt, auf der sie Frauen mit den unterschiedlichsten Schicksalen Zuflucht bietet. Auf der Blumenfarm beginnt Alice ihre schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten, erlernt die Sprache der Blumen und findet schließlich zu ihrer eigenen Stimme zurück. June verbirgt jedoch die ganze Wahrheit ihrer Familiengeschichte vor Alice, welche sich schließlich dazu entscheidet ihren eigenen Weg zu finden und sich von der niederdrückenden Vergangenheit zu befreien.
Holly Ringlands Roman »Die verlorenen Blumen der Alice Hart« zieht bereits durch das kräftige blaue Cover mit einer großen Blumenabbildung die Blicke auf sich. Die florale Gestaltung setzt sich dann auch zwischen den Buchdeckeln fort, denn jedes Kapitel beginnt mit der schwarz-weiß Illustration einer australischen Pflanze, die mit einer kurzen Vorstellung ihrer Bedeutung und Herkunft ergänzt wird. Diese wundervolle Einbringung der Sprache der Blumen zieht sich wie ein roter Faden durch das komplette Buch.
Diese gelungene optische Gestaltung passt hervorragend zu der berührenden Geschichte der Alice Hart und untermalt die Botschaft, dass manche Dinge zu schwer in Worte zu fassen sind, und wir diese durch andere Botschaften wie hier durch die Sprache der Blumen mitteilen können.
Man lebt das Leben vorwärts, aber verstehen kann man es nur rückwärts. Man sieht eine Landschaft nicht, solange man sich in ihr aufhält.
Die verlorenen Blumen der Alice Hart, Seite 23
Die Geschichte beginnt mit Alice früher Kindheit, die sie zurückgezogen ohne jeglichen sozialen Kontakt, außer den zu ihren Eltern, auf einem Hof mit Blumengarten an der Nordküste Australiens verbringt.
Die Stimmungen ihres Vaters wechselten wie die Gezeiten, und mit ihnen wechselten auch die Jahreszeiten.
Die verlorenen Blumen der
Alice Hart,
Seite 46
Besonders mitgenommen hat mich die Gewaltätigkeit von Alice Vater, der nicht nur ihrer Mutter Agnes Schmerzen zufügt, sondern auch keinen Halt vor seiner kleinen Tochter macht. Seine Agressionsausbrüche hat Holly Ringland authentisch zu Papier gebracht, so dass man selbst beim lesen etwas zusammenschreckt und sich kaum auszumalen wagt, wie sehr diese ein junges Mädchen verstören müssen.
Der traumatische Verlust ihrer Eltern, für den sich Alice selbst die Schuld gibt, prägen das Mädchen und ihren weiteren Lebensweg schon frühzeitig. Mit diesem dramatischen Hintergrund passt Alice, ebenso wie ihre Mutter damals, nach Thornfield, der Blumenfarm ihrer Großmutter, die seit Jahrzehnten Frauen mit einer schicksalhaften Vergangenheit als Zufluchtsstätte dient.
Jede Frau die nach Thornfield kam, bekam die Gelegenheit, über die Dinge hinauszuwachsen, die sie im Leben niedergerungen hatten.
Die verlorenen Blumen der Alice Hart, Seite 103
Die Vergangenheit schlägt eigenartige Wege ein, um neue Triebe hervorzubringen.
Die verlorenen Blumen der
Alice Hart,
Seite 204
Alice lernt erst nach dem Tod ihrer Eltern ihre Großmutter June kennen, als diese sie zu sich nach Thornfield mitnimmt. Mit June hat Holly Ringland einen vielschichtigen Charakter erschaffen, der durch die Vergangenheit gezeichnet ist und ganz tief mit der Reflexion alter Fehler behaftet ist. Mit der Ankunft von Alice ergreift June die Chance, um Wiedergutmachung zu leisten. Sie möchte Alice ein beschütztes Leben bieten und schlägt dabei über die Grenzen, denn sie enthält Alice ihre wahre Familiengeschichte vor und sabotiert sogar ihre erste große Liebe. Damit setzt June den Grundstein für eine, sich selbst erfüllende Prophezeiung, obwohl sie doch gerade mit ihren Taten und ihrem Schweigen verhindern wollte, dass der Familienfluch auch auf Alice übergreift. Als Alice davon erfährt kappt sie jegliche Verbindung zu ihrem bisherigen Leben und sucht einen Neuanfang inmitten der australischen Wüste.
»Die verlorenen Blumen der Alice Hart« ist ein facettenreicher Roman über Familie, Vergangenheit, Freundschaft und Liebe mit dem bitteren Nachgeschmack von Gewalt und Missbrauch. Eine bestechende Grundnote besteht, im krassen Gegensatz zur brutalen Seite, aus der Naturverbundenheit der Frauen Thornfields. Die Geschichte übt durch eine große Portion Dramatik auf jeden Fall auch ohne große Spannungsmomente eine unglaubliche Faszination aus, so dass man durch die 500 Seiten geradezu fliegt. Besonders gut gelungen ist Holly Ringland ihre Hauptprotagonistin Alice, die im Gegensatz zu den anderen Charakteren, die neben ihr recht blass erscheinen, einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Bei einem so starken Werk hätte ich allerdings erwartet, auch etwas über die Schicksale der anderen Frauen auf der Blumenfarm zu erfahren. Daher fand ich es wirklich traurig, dass diese überhaupt keinen Raum in der Geschichte einnehmen.
Eine emotional aufwühlende Geschichte, die das Leben genauso hätte schreiben können. Die Schwierigkeit der Selbstfindung, bei der die Zukunft mit der Vergangenheit in Einklang gebracht werden will, wird mit einer bezaubernden Naturverbundenheit zur Flora Australiens ergänzt.
Holly Ringland wuchs wild und barfuß im tropischen Garten ihrer Mutter im Norden Australiens auf. Als sie neun Jahre alt war, bereiste ihre Familie zwei Jahre lang in einem Wohnmobil die Nationalparks Nordamerikas – eine Erfahrung, die den Grundstein legte für Holly Ringlands großes Interesse an Kulturen und Geschichten. In ihren Zwanzigern arbeitete sie vier Jahre lang in einer abgeschiedenen indigenen Gemeinschaft im australischen Outback. Später zog sie nach England, um an der Universität von Manchester Kreatives Schreiben zu studieren. Die Autorin lebt heute abwechselnd in Großbritannien und Australien.
Quelle: Randomhouse | Foto: © Giulia Zonza