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Im 23. Jahrhundert steht die Menschheit kurz davor, den Lauf der Dinge bis ins kleinste Detail vorhersagen zu können. Bald wird Schicksal berechenbar sein — doch zu welchem Preis? Während die Elite an ihrer Hybris bastelt, will Ali nur eins — ihre Mutter finden.
Gemeinsam mit Ali und ihrer hoch entwickelten Begleitmaschine Rob wandeln wir durch eine dunstige zukünftige Version unserer Welt, die Andreas Kiener in stimmungsvollen Aquarellzeichnungen zum Leben erweckt. Die Hauptfiguren bewegen sich mit grosser Selbstverständlichkeit durch die futuristische Szenerie — für sie ist die Zukunft Normalität. Gleichzeitig gibt Andreas Kiener seinen Leser*innen viel Gelegenheit, auch mit eigenem Blick durch die Welt zu reisen, die er entwirft, und Details und Zusammenhänge selbst zu erkennen. Es ist ein Szenario voller Kontraste: Gewaltige Architektur ragt aus Ruinen und Schrotthalden empor. Die Städte, in denen sich Menschen und Sprachen tummeln, sind umgeben von öden Weiten, und die Wissenschaftselite an der Spitze der Gesellschaft trifft nur dann auf die machtlosen Randständigen, wenn diese als Versuchsobjekte in die Gemächer der Forschungsstätten gelangen …
Quelle: Edition Moderne
In »Unvermögen« erzählt Andreas Kiener ein durchdringendes Science-Fiction-Märchen über das kleine Mädchen Ali und ihren bärigen Beschützer Rob, einen hoch entwickelten Androiden in pastelligen Tönen und eindrucksvollen Bildern, die voller Details stecken.
Die zukünftige Welt in Andreas Kieners »Unvermögen« ist so weit entwickelt, dass die Meteorologen das Wetter bis auf den Regentropfen genau vorhersagen können und die Menschheit ist nur einen Schritt davon entfernt, sich ihr eigenes Schicksal aufzeigen zu lassen. Der futuristische Städtebau ist zugleich ein Abbild der auseinanderklaffenden Gesellschaft, unten am Boden lebt die ärmste Bevölkerungsschicht und ist man ganz oben angekommen findet man die machtvollen Räumlichkeiten der bestimmenden Firmen wieder.
Mitten im multikulturellen Treiben des dystopischen Settings begleitet man das kleine Mädchen Ali auf ihrer verzweifelten Suche nach ihrer Mutter, an ihrer Seite Rob, ein bärengroßes Kuscheltier, hinter dem sich ein wertvoller Androide verbirgt. Auch wenn Robs Programmierung es ihm nicht gestattet, ihr bei der Suche zu helfen, ist Ali gewitzt und listig genug zum Tricksen, um ihr Ziel zu verfolgen.
© Edition Moderne/Andreas Kiener
Das herzlich-ungleiche Duo gewinnt man schnell lieb und so verfolgte ich gespannt deren Abenteuer, die sie schließlich zur Werkstatt der Androiden und dem ehemaligen Arbeitgeber von Alis Mutter führen. Wirklich spannend ist dabei, wie drastisch Andreas Kiener vor Augen führt, dass Fortschritt und Wissenschaft zwar viele Vorteile mit sich bringen, aber zugleich auch ein erschreckendes Szenario herbeiführen können. Mit Ali und Rob kommen die wirklich wichtigen Gefühle wie Liebe und Freundschaft zum Ausdruck.
Die großzügig gestalteten Panels entfalten eine unheimliche Sogwirkung und besonders gelungen in Szene gesetzt finde ich den, auch auf dem Cover abgebildeten, Sturzflug von Ali und Rob. Hier hält man fast den Atem an, nur um wenig später auf dem Boden der Tatsachen angekommen, mit der Realität konfrontiert zu werden. Unvermögen ist mit seinen 160 Seiten ein umfangreiches Comicwerk, dennoch hat mich das Ende, welches in einer letzten Seite direkt in den Einband ausläuft, sprachlos zurückgelassen. Kann es das wirklich alles gewesen sein, oder lässt der Cliffhanger auf eine mögliche Fortsetzung hoffen?
Ein futuristisches Märchen über die Freundschaft zwischen einem Mädchen und einem Androiden mit viel Herz und einem Auge für Fortschritt, Wissenschaft und die gesellschaftliche Spaltung erzählt.
Titel: Unvermögen
Autor/Illustrator: Andreas Kiener
Genre: Comic
Verlag: Edition Moderne
ISBN-13: 978-3037312209
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 160 Seiten
Preis: 32,00 €
Erschienen: 7. September 2021
Andreas Kiener, *1986, arbeitet als selbständiger Illustrator, Comiczeichner und Siebdrucker in Luzern und ist Mitherausgeber des Ampel Magazins.
Quelle: Edition Moderne
Andreas Kieners schöne Science-Fiction-Bildergeschichte überrascht und verzaubert also oft genug, um über das nicht immer perfekt ausbalancierte Setting hinwegzusehen.
Die Zukunft, Christian Endres