{Rezension} New York Cannibals von Jerome Charyn & François Boucq


Lesedauer: 4 Minuten

New York, 1990. Die kleine Azami ist zur jungen Frau herangewachsen, zu einem Lieutenant der New York Police obendrein. Als volltätowierte Bodybuilderin verschafft sie sich in den dunklen Ecken des Big Apple spielend Respekt. Als sie in einer dieser Ecken ein verlassenes Baby findet, regt sich dennoch eine zartere Emotion in ihrer Seele, und sie will das Kind adoptieren. Mit der Hilfe ihres Ziehvaters, des Tätowierers Pavel, will sie dem Jungen eine Zukunft bieten. Pavel wird derweil jedoch von Dämonen aus seiner Vergangenheit im Gulag eingeholt…

Nachdem sie mit »Teufelsmaul« und »Little Tulip« in der Comicszene für Aufsehen sorgten, kehren Charyn und Boucq mit einem neuen Thriller Noir reinsten Wassers zurück. »New York Cannibals« vereint eine kompromisslos erzählte Geschichte über die dunkle Seite des Menschseins mit mühelos virtuosen Zeichnungen in der Schwebe zwischen Naturalismus und Karikatur.

Alleine schon das Setting der Metropole New York City für Storys jeglicher Couleur, reizt mich ungemein und so kam ich an »New York Cannibals« des Duos Charyn & Boucq nicht vorbei. Gut so, denn so habe ich das Erzähltalent von Jerome Charyn in Kombination mit den eindrucksvollen Illustrationen im frankobelgischen Stil von François Boucq entdeckt!

Gleich die ersten Seiten des abgeschlossenen Einzelbands konnten mich mit der Einführung der Hauptprotagonistin Azami begeistern. Azami ist eine wahre Naturgewalt, als Bodybuilderin steckt sie die Jungs beim Training in die Tasche und auf der Arbeit als Polizistin bei der Wache von Washington Heights jagt sie Verbrecher und versucht für Recht und Ordnung zu sorgen.


© Splitter Verlag/François Boucq

Das muskulöse und volltätowierte Erscheinungsbild Azamis bringt ihr Respekt auf den Straßen ein, dabei ist sie eine wahre Frohnatur und begegnet ihren Mitmenschen mit aufgeschlossener Freundlichkeit, doch gegenüber den bösen Buben kann sie natürlich auch ihre andere Seite zeigen. Die ungewöhnliche familiäre Situation als Adoptivkind des Tätowierers Pavel und ihrem Wunsch nach einem eigenen Kind, das ihr aufgrund Steroidmissbrauch verweigert bleibt, bildet den Ausgangspunkt für eine erfrischend-unterhaltsame Story im kulturellen Schmelztiegel von New York City.


© Splitter Verlag/François Boucq

Der Zufall spielt Azami ein Baby in die Hände, dass sie in einer dunklen Gasse findet, wie Müll weggeworfen, und beschließt es zu behalten. Kaum darauf scheint Pavel sein einstiges Leben in den Straf- und Arbeitslagern der Sowjetunion heimzusuchen, denn seine längst tot geglaubte Geliebte taucht wie ein Schemen aus der Vergangenheit auf, und das quicklebendig und überraschend jugendhaft, denn sie scheint seitdem kaum gealtert zu sein.


© Splitter Verlag/François Boucq

Wie Pavels Geliebte, seine Vergangenheit und die gegenwärtigen Ereignisse zusammenpassen erfährt man im rauschenden Tempo. Die Puzzleteile fügen sich Stück für Stück zusammen und werden mit einem Bild angereichert, dass einen großen Bereich der gesellschaftlichen Vielfalt (sei es Herkunft, Hautfarbe, sexuelle Identität, Statur oder Handicap) abbildet. Erpressung, eine undurchsichtige staatliche Organisation, die unbekannten Mächten in die Hände zu spielen scheint, das alles zusammengenommen liefert einen spannenden Cocktail und sorgt für eine nervenaufreibende Stimmung.

Die Illustrationen von François Boucq fangen die Szenerie von alltäglichen Situationen bis hin zu Razzien gekonnt ein und lassen ein authentisches Bild der finsteren Gassen New Yorks entstehen, in denen das Verbrechen zu Hause ist, und führen schließlich bis tief in den stinkenden Untergrund. Doch das ist noch nicht alles, denn es fließen noch mystische Vibes in die Story ein, sobald Azami und Pavel dem Drahtzieher hinter den düsteren Machenschaften näher kommen. Im Hinblick auf das Verbrechersyndikat hätte ich mir jedoch ein wenig mehr Ausarbeitung gewünscht, denn hier kam es mir so vor, als hätte man Zwischenschritte übersprungen. In Anbetracht des großen Ganzen ist das jedoch minimale Kritik. Also eine absolute Leseempfehlung!


© Splitter Verlag/François Boucq


»New York Cannibals« weiß mit Diversität, einnehmenden Charakteren und Themenvielfalt ebenso zu begeistern, wie mit der prickelnden Spannung eines Thrillers.

★★★★☆

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Titel: New York Cannibals
Originaltitel: New York Cannibals
Autor: Jerome Charyn
Illustrator: François Boucq
Übersetzerin: Tanja Krämling
Genre: Comic
Verlag: Splitter Verlag
ISBN-13: 978-3962195274
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 152 Seiten
Preis: 35,00 €
Erschienen: 28. Juli 2021

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